01.04.2016

Das hat mich zutiefst verletzt – was nun?

Wie gesagt, schlimmer und hartnäckiger als körperliche Verletzungen sind zumeist seelische. Denn während körperliche Verletzungen in der Regel wieder abheilen, können seelische Verletzungen oft jahrelang 'eitern' und unser Leben beeinträchtigen, wenn nicht sogar vergiften. Dabei geht es jedoch nicht um die Art von Verletzungen, die oft nur selbstgemacht sind. Wenn mein Nachbar mich nicht grüßt oder ein Freund meinen Geburtstag vergisst, kann das zwar auch verletzend sein, doch wer sagt, dass es Absicht war? Viel in unserem zwischenmenschlichen Miteinander ist unbeabsichtigt oder auf Gedankenlosigkeit zurückzuführen. In diesem Fall entscheide ich selbst, ob ich verletzt reagieren will oder nicht, wobei Letzteres wahrscheinlich besser und auch klüger ist.

Nein, die Rede ist von den Verletzungen, die tatsächlich langfristig weh tun. Meist kommen sie von Menschen, die uns nahestehen. Wir können auch darauf verschieden reagieren, aber nicht immer. Viele reagieren mit Empörung, Anklage, Wut und Schuldzuweisung oder auch Schweigen und Unterdrückung der Gefühle. Am einfachsten ist es, wenn ich einen Panzer um mein Herz ziehe und beschließe: "Das geschieht mir nie wieder. Nicht mit mir!" Das Problem ist nur: Mit diesem Panzer ums Herz können wir nicht lieben. Dann wird es hart und eng in unserem Inneren. Denn wer lieben will, muss sich Verletzungen aussetzen. Das geht nicht anders.

Es gibt aber noch einen anderen Weg

Zwischen blinder Wut und Anklage oder einem stummem 'In-sich-hineinfressen' kennen Christen noch den Weg, dass sie mit Gott über ihre Verletzungen sprechen, sie ihm klagen und anschließend darauf vertrauen, dass er sich darum kümmert. Schon im Alten Testament gibt es diese Beispiel, wo Menschen zu Gott schreien, ihm dann aber auch wieder vertrauen und erleben, wie Gott alles in seine Hand nimmt. Gott ruft uns immer wieder dazu auf, zu ihm zu kommen. "Schüttet euer Herz vor ihm aus, liebe Leute!" heißt es z. B. in Psalm 62,9.

"Gestehe jedem seine eigene Verletzlichkeit zu, wenn du möchtest, dass sie auch dir deine Verletzlichkeit zugestehen."
Alexandra Maria Huber (* 1978), deutsche Motivationstrainerin

Schauen wir also unsere Verletzung an, benennen wir sie, geben wir vor Gott den Schmerz und unseren Zorn zu. Aber sagen wir es Gott und laden damit den giftigen Müll bei ihm ab. Er wird uns helfen.

Den giftigen Müll entsorgen

Wer den giftigen seelischen Müll, der aus Verletzungen erwachsen kann, nicht bei Gott entsorgt, hat oft sehr lange darunter zu leiden. Wer ihn jedoch Gott anvertraut und bei ihm abgibt, kann davon ausgehen, dass Gott nicht nur den Müll entsorgt, sondern auch die Verletzungen, die daraus entstanden sind, heilt, ohne dass unsere Verletzungen nur in Vergessenheit geraten und der, der die Verletzungen verursacht hat, weiter frei herumlaufen und weiter verletzen kann. Dieser Schritt des Abgebens bei Gott, der auch Vergebung genannt wird, war Jesus so wichtig, dass er ihn in das 'Vater unser' aufgenommen hat. Dort heißt es: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind." Das ehrliche Gespräch mit Gott und die Bereitschaft, zu vergeben, bedeuten, dass wir alles Gottes Gerechtigkeit und seiner Hilfe überlassen. Er kann uns von unseren Verletzungen heilen, uns stärker machen und den, der uns verletzt hat, verändern. Wer daran glaubt, kann aus dem Kreislauf des Bösen aussteigen und frei davon werden.

Im Fall sexuellen Missbrauchs von Kindern

In Deutschland werden jährlich 300.000 Kinder missbraucht. Schätzungen zufolge wird jedes dritte bis vierte Mädchen und jeder siebte bis zehnte Junge bis zum 18. Lebensjahr einmal oder über Jahre hinweg missbraucht. Täter sind zu 98 % Männer, die aus dem engsten Umfeld des Kindes kommen. Durchschnittlich 65 % – 70 % der drogensüchtigen Mädchen wurden als Kind sexuell missbraucht. In den meisten Fällen ist der Täter ein Mann, der dem Kind bekannt ist  und seine Machtposition bzw. das Abhängigkeitsverhältnis des Kindes ausnutzt. Sexueller Missbrauch ist also ein Missbrauch von Macht, mit oft katastrophalen Folgen.

"Ein verletztes Herz wird nicht geheilt, indem wir es verschließen."
Alexandra Herdt (* 1971), Spiritual Life Coach

Je näher der Täter dem Kind steht, desto schlimmer wird das Kind in der Fähigkeit, Vertrauen zu lernen, erschüttert. Die grundlegenden Bedürfnisse nach Schutz, Sicherheit, Bedeutung, Liebe, Geborgenheit, Anerkennung und Vergebung werden zutiefst verletzt. Aber genau das sind die Voraussetzungen dafür, dass ein Kind sich seelisch gesund entwickeln kann.

Gibt es einen Weg, erlebten Missbrauch zu bewältigen?

Als Christen glauben und wissen wir, dass Jesus alle unsere seelischen Verletzungen heilen kann und das auch möchte. Auch die aus einem Missbrauch als Kind. Er ist unser Schöpfer und kennt uns durch und durch. Er kennt unsere Probleme und besitzt die Fähigkeit, uns zu helfen. Die Bibel sagt: "Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten. Durch seine Wunden sind wir geheilt." (Jesaja 53,4-6)

"Gottes Mühlen mahlen langsam, aber trefflich klein."
Friedrich Freiherr von Logau (1604 - 1655), deutscher Jurist

Jesus hat unsere gesamte Schuld, unser Leid und alle unsere Verletzungen auf sich genommen und am Kreuz dafür bezahlt, deshalb müssen wir keine der fürchterlichen Verletzungen mehr selbst tragen. Das gilt vor allem für Verletzungen, die aus sexuellem Missbrauch stammen.

Wie sieht ein Heilungsprozess praktisch aus?

1. Glaube daran, dass Jesus für unsere – auch für deine – Schuld am Kreuz gestorben ist und die Macht hat, dir ein neues, sinnvolles Leben zu schenken! Die Grundbedürfnisse eines Kindes nach Sicherheit sind durch den Missbrauch untergraben. Doch Jesus kann dieses Vakuum ausfüllen und heilen. Er ist die Quelle der Liebe, des Friedens, der Freude, der Vergebung, der Sicherheit und der Geborgenheit. Bei ihm finden wir, was uns in unserer Kindheit vorenthalten wurde. 2. Werde ehrlich zu dir selbst und bringe das Vergangene zu Gott! Missbrauchserfahrungen dürfen nicht verschwiegen oder verdrängt werden, sie müssen ausgesprochen werden, vor Gott und vor Menschen. Welche Gefühle, welche Ängste oder Wut habe ich? Welche Fluchtmechanismen habe ich über die Jahre vielleicht schon entwickelt? 3. Gott schenkt dir ein neues Leben und hilft dir, neue Verhaltens- und Denkstrukturen anzunehmen! Nachdem wir Gottes vergebende Liebe angenommen haben, bekommen wir von ihm auch die Kraft, uns zu verändern. Dazu brauchen wir Menschen, die uns begleiten. Eine gesunde Beziehung zu Gott und zu Menschen, von denen wir echte Liebe und Trost, aber auch Korrektur empfangen, kann uns seelisch wieder gesund machen. Dazu müssen wir auf Menschen zugehen, die es gut mit uns meinen und denen wir wichtig sind. Wir müssen ihnen zuhören, ihre Ratschläge annehmen und umsetzen. 4. Bitte Gott darum, dem Täter vergeben zu können und falsche Gefühle loszuwerden! Vergeben heißt, dass Jesus uns unsere negativen Gefühle abnimmt und in gute Gedanken umwandelt. Vergeben heißt nicht, den Missbrauch zu vergessen, zu relativieren oder zu entschuldigen. Sexueller Missbrauch ist und bleibt ein schweres Verbrechen, das an einen unschuldigen Menschen verübt wird, vor dem der liebende Gott niemals seine Augen verschließen wird.

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