
Das Leben der Frauen bei den Täufern
Die Frage, die sich uns in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob es ein typisches Verhalten der Frauen in der Zeit dieser fürchterlichen Verfolgung gab? Verhielten Frauen sich vielleicht anders als Männer? Dazu sagt die Historikerin Dr. Astrid von Schlachta: „So viel anders war das Leben der Frauen gar nicht als das der Männer! Als gläubige Frauen mussten auch sie zu Gott ja sagen und ein Leben in der Nachfolge Jesu führen, Verfolgung erdulden und dem Tod ins Angesicht sehen. Das war für Frauen nicht anders als für Männer. Alle traf die Verfolgung, alle hatten eine Entscheidung zu treffen und mussten als Gefangene hungern und in dunklen, nassen Zellen und Verliesen dahinvegetieren. Sie wurden gefoltert und mussten zurücklassen was ihnen als Heimat vertraut war, wenn es ihnen erlaubt wurde auszuwandern.“
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Schaut man auf die Rollenerwartung, finden wir aber tatsächlich eine Reihe von Unterschieden zwischen Mann und Frau in diesen Gemeinschaften von Brüdern und Schwestern, die es trotz rigoroser Verfolgung durch Staat und Kirche in fast allen Regionen des Reiches der Habsburgermonarchie gab. Sie wurden als Wiedertäufer bezeichnet, was eigentlich ein Schimpfwort ist, denn sie selbst waren unter sich Brüder und Schwestern und verstanden sich als Täufer.
Was sie in der Anfangsphase der Täuferbewegung von den anderen unterschied, war zum Beispiel, dass Frauen sogar die Möglichkeit hatten zu predigen und auf der Straße mit Leuten über ihren täuferischen Glauben zu reden. Auch in den Versammlungen durften Frauen das Wort ergreifen, wie es uns in einer Quelle aus dem Jahr 1532 überliefert ist. Als gleich darauf die furchtbare Verfolgung einsetzte, litten Frauen besonders darunter, wurden gefangen genommen, gefoltert, verhört und letztlich ertränkt. Das vermutlich deshalb, weil man glaubte, dass die Wassergeister weiblich seien, weshalb man sie dem Wasser übergab.
Es gibt viele Berichte über Frauen, die als Märtyrerinnen starben, weil sie ihren Glauben nicht widerriefen. Viele von ihnen nutzten vor ihrer Hinrichtung noch einmal die Möglichkeit, um zum umstehenden Volk zu sprechen. Als Maria von Beckum 1544 gemeinsam mit ihrer Schwägerin zur Richtstelle geführt wurde, fingen die Umstehenden an zu weinen, während Maria das Wort ergriff und zur versammelten Menge sagte: „Wir leiden nicht als Zauberinnen oder andere Missetäter, sondern weil wir bei Christus bleiben und von Gott nicht weichen wollten. Darum bekehrt auch ihr euch, so wird es euch ewig wohl ergehen.“ Maria bat auch für den Richter, dass ihm seine Sünden vergeben würden und dass Gott sich über die Welt erbarmen möge, die in Blindheit versunken sei.
„Interessant war auch“, so Dr. Astrid von Schlachta in einem ihrer Vorträge, „dass Märtyrerinnen oftmals mit männlichen Eigenschaften belegt wurden.“ So heißt es z. B. von Kristina Brenner, die gefangen genommen, verhört, gefoltert und dann zum Tode verurteilt wurde, dass sie beim Verhör niemanden verraten habe, sodass sich jedermann über ihre Standhaftigkeit wunderte. Es gab aber auch adlige Frauen, wie Helena von Freyberg (1491–1545), die ihr Schloss für Versammlungen der Täufer öffnete, dabei beobachtet und daraufhin gefangen genommen wurde. Durch die Fürsprache ihrer Familie konnte sie aus dem Gefängnis fliehen. Wahrscheinlich widerrief sie auch ihren Glauben, um am Leben zu bleiben, konnte das aber privat und musste es nicht öffentlich tun, was womöglich damit zusammenhing, dass sie eine Adlige war. An ihrem Schicksal sehen wir, dass eine adlige Frau selbst in einer solchen Situation noch besser davon kam als eine bürgerliche Bauersfrau.
In jedem Fall gab es in der Frühphase der Täuferbewegung viel mehr Handlungsspielraum für Frauen als später. Doch diese frühe Phase war irgendwann vorbei und als die Gemeinden sich festigten, waren die Hirten der Gemeinde praktisch überall wieder Männer. Das war in dieser Zeit ohnehin so. Im Mittelalter war der höchste Stand, den eine Frau einnehmen konnte, jener der gottgeweihten Jungfrau, die als Nonne ins Kloster ging. Wenn eine Frau gebildet sein wollte, war es immerhin eine Möglichkeit, ins Kloster zu gehen. Diesen Weg schlugen Frauen tatsächlich ein, um eine Ausbildung zu erhalten.
In der Reformationszeit wurde Bildung dann für alle Frauen möglich. Wobei es zu bedenken gilt, dass es im 16. Jahrhundert noch nicht die Vorstellung von Familie gab, wie wir sie heute kennen. Die Familie war damals in der Regel das ganze Haus, dazu gehörten Eltern, Kinder, Verwandte, Angestellte, Knechte und Mägde, Lehrlinge, Gehilfen usw. Dieses „ganze Haus“ war zur damaligen Zeit auch Wohnung und Arbeitsstätte zugleich.
Beispiel einer Hinrichtung
Anna Jansz, eine Frau aus den Niederlanden, die 1539 für ihren Glauben in den Tod ging – sie gilt heute als eine der bekanntesten Täuferinnen – hat uns einen Brief und ein Testament hinterlassen, das sie kurz vor ihrem Tod für ihren Sohn verfasst hatte, der zu dieser Zeit erst 15 Monate alt war. Als die umstehende Menge schon bereit stand, um das Spektakel der Hinrichtung mitzuerleben, fragte sie, wer von den Umstehenden bereit wäre, für ihren Sohn zu sorgen. Da meldete sich ein Bäcker und erklärte sich bereit, sich um das Kind zu kümmern. Daraufhin übergab sie dem Bäcker den Geldsäckel und mit dem Geld auch ihr Testament an ihren Sohn. Am Schluss dieses Testamentes schreibt die Mutter an ihren Sohn: „Höre, mein Sohn, die Unterweisung deiner Mutter. Öffne deine Ohren, um die Reden meines Mundes zu hören. Siehe, heute gehe ich den Weg der Propheten, Apostel und Märtyrer, um den Kelch zu trinken, den sie alle getrunken haben. Ich gehe den Weg, den Christus Jesus, das ewige Wort des Vaters, voller Gnade und Wahrheit, der Hirte der Schafe, der das Leben selbst ist, in seiner eigenen Person und nicht durch einen andern gewandelt ist und der auch diesen Kelch hat trinken müssen, gleich wie er sagte: Ich muss den Kelch trinken. (...) Darum, mein Kind, streite für die Gerechtigkeit bis an den Tod; waffne dich mit der Waffenrüstung Gottes. (...) Führe deinen Wandel dem Evangelium gemäß und der Gott des Friedens heilige dich an Seele und Leib zu seinem Preise. Amen“ (aus dem „Märtyrerspiegel“ von 1660).