In der Stille liegt die Kraft
"Durch Umkehr und durch Ruhe werdet ihr gerettet. In Stillsein und in Vertrauen ist eure Stärke. Aber ihr habt nicht gewollt." (Jes. 30,15) Ist es tatsächlich so, dass wir nicht wollen? Doch, wir wollen, wir tun es oft nur nicht, zumindest viele von uns. Doch die, die es tun, erleben, wie diese 'Stille vor Gott' für sie zur Kraftquelle wird. Martin Luther, der evangelische Reformator soll einmal gesagt haben: "Ich habe heute viel zu tun, darum muss ich heute viel beten!" Das klingt vielleicht etwas eigenartig in unseren Ohren, bringt aber genau das zum Ausdruck, worum es hier geht. Die Zeit der 'Stille vor Gott' als Ort der Kraft zu entdecken und auch aufzusuchen. Je mehr Kraft wir brauchen, um unsere Herausforderungen zu bewältigen, desto mehr sollten wir diese Zeit der 'Stille vor Gott' suchen. Denn die Wahrheit, die sich dahinter verbirgt, ist, dass wir in dieser Stille göttliche Kraft empfangen. Deshalb lohnt es sich auch, mehr darüber zu wissen und nachzudenken.
Was bedeutet Kraft für uns – was für Gott?
Kraft und Stärke empfinden wir dann, wenn wir uns körperlich und seelisch fit fühlen und innerlich Zuversicht verspüren, die vor uns liegenden Aufgaben zu bewältigen. Das vermittelt uns Selbstvertrauen. In der Psychologie ist Selbstvertrauen ein großes Thema, weil ohne Selbstvertrauen oft der Mut dazu fehlt, anstehende Aufgaben in Angriff zu nehmen. Viele psychisch kranke Menschen verfügen über zu geringes Selbstvertrauen. Großes Selbstvertrauen hingegen ist ein starker Motivator und stimmt uns optimistisch. Deshalb wird jeder Psychologe, Psychotherapeut oder Seelsorger, wenn irgend möglich, versuchen, dem Betroffenen zunächst einmal Selbstvertrauen zu vermitteln. Das ist auch richtig so und hat sich bewährt. Gott geht jedoch noch darüber hinaus. Als wollte er gleichsam auch jenen Menschen helfen, die von sich aus kein gesundes Selbstvertrauen haben, gibt er uns Menschen die Hoffnung, dass wir auf seine Hilfe bauen können. Jesus sagt: "Zwei Menschen gingen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer und der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen der Menschen: Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche, ich verzehnte alles, was ich erwerbe. Der Zöllner aber stand weitab und wollte sogar die Augen nicht aufheben zum Himmel sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus im Gegensatz zu jenem; denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer aber sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden." (Luk. 18,9-14)
"Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken."
Die BIBEL, Matthäus 11,28
Wer also in Demut zu Gott kommt, dem hilft Gott, ob er nun ein gesundes Selbstvertrauen mitbringt oder nicht. Gott hilft allen, auch und gerade denen, die nichts vorzuweisen haben, wenn sie zu ihm kommen. Das heißt nicht, dass wir etwa völlig inaktiv werden sollten, damit Gott uns hilft. Die biblischen Beispiele zeigen uns auch immer wieder, wie Gott gerade das Handeln der Menschen segnet und will, dass ein Mensch sich selbst aufrafft, wo immer er kann. Aber er hilft auch dem, der dazu nicht mehr imstande ist. Diese Haltung Gottes kann für jeden von uns, der sich kraft- und mutlos fühlt und keinen Ausweg mehr weiß, eine große Hoffnung sein. Wer zu Gott und zu seinem Sohn Jesus Christus kommt, der erfährt Hilfe. Vertrauen auf Gottes Hilfe, das ist der Schlüssel für unseren Glauben und gleichzeitig eine Quelle der Kraft und Hilfe für uns. Das hebräische Wort für Kraft ist "koach". Das hat etwas mit Festigkeit und Stärke zu tun. Aus der Bibel wissen wir, dass es unterschiedliche Arten der Kraft gibt. Ein Kind erlebt die Kraft seines Vaters vielleicht, wenn er es hochwirft und dann wieder auffängt. Doch es gibt auch die Kraft einer starken Persönlichkeit. Wenn z. B. junge, kräftige Studenten Respekt vor einer kleinen, zierlichen Lehrerin haben und sich von ihr etwas sagen lassen, obwohl sie – gemessen an der körperlichen Stärke – die Frau einfach ignorieren könnten, dann steckt dahinter die Durchsetzungsfähigkeit einer starken Persönlichkeit. Seelische Kraft hingegen kann, muss aber nicht mit Durchsetzungsfähigkeit einhergehen. Vielleicht haben auch Sie schon alte, gebrechliche Menschen erlebt, die eine große seelische Kraft und Ruhe ausgestrahlt haben. In ihnen wurde vielleicht schon eine andere Kraft wirksam.
"Wenn wir still werden, haben wir die Chance, zu Gott zu kommen, und umgekehrt: Wenn Gott zu uns kommt, dann finden wir die wahre Stille."
Alex Nussbaumer (* 1950), Theologe und Buchautor
In der Bibel wird Kraft im Neuen Testament meist mit dem griechischen Wort "dynamis" beschrieben. Das bedeutet "Kraft, Macht, Vermögen". Kraft versetzt uns also in die Lage, etwas durchzuführen. Gott kann jedes Vorhaben ausführen. Für ihn existieren keine Grenzen. Schließlich war Gott in Jesus Christus auch in der Lage, die scheinbar unüberwindbare Macht des Todes zu überwinden: Wer sich also Gott öffnet und sich seinem Vermögen anvertraut, dem ist im Prinzip alles möglich. Freilich können wir nur dort mit Gottes Kraft rechnen, wo wir uns mit seinem Willen eins machen. Dadurch ist die Voraussetzung gegeben, dass wir nicht hochmütig oder übermütig werden. Denn ohne im Einklang mit Gottes Willen zu stehen, wird diese unerschöpfliche Kraft Gottes in der Regel nicht wirksam. Wer aber in Demut und in der Wertschätzung anderen Menschen gegenüber Gott um etwas bittet, dem kann er helfen, wenn es seinem Plan und Willen entspricht. Die Frage ist nun: Wie kommt Gottes Kraft, seine "dynamis", in unser Leben hinein?
"Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein."
Die BIBEL, Jesaja 30,15
Das Geheimnis der Stille
In der Bibel lesen wir dazu, wie bereits eingangs erwähnt, bei dem Propheten Jesaja: "Denn so spricht der Herr, der Heilige Israels: Durch Umkehr und durch Ruhe werdet ihr gerettet. In Stillsein und in Vertrauen ist eure Stärke." (Jes. 30,15) Es geht also darum, "errettet" und "gestärkt" zu werden. Die Voraussetzungen dazu sind Umkehr und Ruhe; das Ergebnis ist Rettung. Es braucht also für die Rettung eine Umkehr. Die Umkehr von unseren falschen Wegen hin zu Gott. Im Neuen Testament steht hier das Wort Buße. "Liebe Gott aus ganzem Herzen, suche seine Ehre und liebe deinen Nächsten wie dich selbst!" (Luk. 10,27)
"Alle eure Sorge werfet auf ihn; denn er sorgt für euch!"
Die BIBEL, 1. Petrus 5,7
Das Geheimnis der Ruhe
Dieses Ruhen beinhaltet ein "Sich-selbst-Erniedrigen" oder "Abstand-nehmen vom Aufbegehren". Das erscheint uns zunächst gegen die menschliche Vernunft zu verstoßen. Wie oft lesen wir in der Bibel davon, dass das Volk Israel von Gott aufgefordert wird, keine Bündnisse, keine Verhandlungen, kein Aufrüsten und manchmal auch keinerlei Vorkehrungen zu treffen, sondern einzig und allein auf Gottes Kraft zu vertrauen. Manchmal heißt es sogar, dass Verhandlungen abgebrochen werden sollen, weil es darum geht, sich zu erniedrigen und Gott zu vertrauen. Im Brief an die Hebräer ist davon die Rede, "in die Ruhe Gottes einzugehen", indem man von den eigenen Werken zur Ruhe kommt. Jetzt ist natürlich die Frage, was das für uns bedeutet. Können wir zu unserer Rettung tatsächlich gar nichts beitragen? In gewisser Hinsicht ist das so. Denn wer sich selbst retten will, vertraut auf sich selbst, aber nicht auf Gott, der allein die Rettung bewirken kann. Er gleicht einem Menschen, der sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf ziehen will. Doch so wie das Volk Israel in der Wüste von giftigen Schlangen gebissen wurde und sich vor dem tödlichen Gift nicht selbst retten konnte, so kann auch kein Mensch sich selbst vor dem Gift des Todes retten.
"Sorget euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden."
Die BIBEL, Philipper 4,6
Das Geheimnis des Vertrauens
Das Wort "Vertrauen" (hebräisch: "bitchah") könnte auch mit "sich Sichern" wiedergeben werden. Wer also umkehrt, zur Ruhe kommt und still wird, darf sich auch sicher fühlen. Die Frage ist allerdings: Worauf gründet diese Sicherheit? Die Antwort gibt König David, der in einem seiner Psalmen schreibt: "In Frieden werde ich, sobald ich liege, schlafen; denn du, Herr, lässt mich in Sicherheit wohnen." (Psalm 4,9) Wer also bei dem Herrn Schutz sucht, indem er sich ihm anvertraut, der ist in Sicherheit! Wer seine Sicherheit aus der Stille vor Ggott bezieht, schöpft daraus Kraft, Zuversicht und neue göttliche Lebensimpulse. Die Gelassenheit, die daraus entsteht, sollte die Grundlage jedes christlichen Lebens sein. Doch dazu ist es wichtig, dass wir alle diese wesentlichen Aussagen der Bibel verstehen und auch richtig einzuordnen wissen. Denn wer die Bibel nur oberflächlich liest und sich an der falschen Stelle in seinem Leben darauf verlässt, der darf sich nicht wundern, wenn's anders kommt.