01.03.2013

Warum dieses Kreuz?

„Religion", so würden viele Menschen unserer Zeit wahrscheinlich sagen, „ist dazu da, uns schöne Gefühle zu verschaffen!" Das glaubten übrigens auch die Menschen der Antike. Und diese Ansicht blieb bis heute erhalten. Sich von positiven göttlichen Kräften durchströmen zu lassen, spirituelle Erfahrungen zu machen oder geistliche Gefühle zu erleben, darin sehen viele religiöse Menschen das Ziel ihrer Religiosität. Das gilt übrigens für viele besonders religiöse Menschen in den Kirchen ebenso wie für die große Anzahl von Menschen, die einer der diversen esoterischen Richtungen angehören. Ihnen wird - neben diesen Gefühlen - oft auch noch Luxus, Reichtum, Genuss, Lust und Unsterblichkeit verheißen. Wer nur lange genug meditiert, sich inneren Eindrücken hingibt oder spirituelle Übungen praktiziert, der werde all das erleben, wird versprochen. Obwohl die Realität dann vielfach ganz anders aussieht. Doch darin liegt das Problem des Glaubens. Wir müssen zuerst glauben, dann praktizieren - und erst dann tritt die erhoffte Wirkung ein - oder auch nicht. Deshalb ist es so wichtig, dass wir zu einem Glauben finden, der hält, was er verspricht.

Warum das Kreuz?

Was Jesus Christus in die Welt brachte und uns hinterließ, ist zunächst in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von dem, was spirituelle Prediger von damals und heute versprechen. Zwar verspricht auch Jesus jedem ein erfülltes Leben, der sich zu ihm bekennt, dazu Frieden im Herzen und Gnade bei Gott. Doch der Weg dorthin geht nicht über fromme Übungen, sondern über gehorsame Nachfolge Jesu. Diese folgt jenem Weg, den Jesus selbst gegangen ist. Denn auch Jesus selbst war seinem Vater im Himmel gehorsam - und zwar „bis zum Tod, zum Tod am Kreuz", wie es im 2. Kapitel des Briefs des Apostels Paulus an die Philipper heißt.

„Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“
„Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“
Worte Jesu in Joh. 10, 11 und 15, 13

Dieser Tod am Kreuz, den Jesus erlitt, war eine Art der Hinrichtung, die nur Verbrechern zukam. Jeder Gekreuzigte war in den Augen eines römischen Bürgers ein Verbrecher und ein Versager, ein vom Schicksal Verfluchter. Wenn Jesus am Kreuz starb, wie es historische Quellen eindeutig belegen, dann traf all diese Schande in den Augen der Römer auf Jesus zu. „Ein anständiger Mensch," schrieb Cicero, der römische Staatsmann und Philosoph, „sollte an das Kreuz nicht einmal denken." Die Hinrichtung durch Kreuzigung zögert den Tod bewusst so lange hinaus, bis das Opfer ein Maximum an Qualen erlitten hat. Kein römischer Bürger durfte deshalb gekreuzigt werden. Bleibt die Frage, warum ausgerechnet das Kreuz das zentrale Symbol der Christen wurde.

Jesus - und die, die ihn kreuzigten

Jesus hat ein Menschenleben durchlebt und durchliebt. Er hat erfahren, wie es ist, abgelehnt zu werden, Enttäuschungen zu erleben. Angst, Einsamkeit, Ohnmacht und Leiden, ja, sogar Gottverlassenheit erlebte Jesus, als er schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Mt. 27, 46)

Deshalb können Christen sagen, dass sich in diesem Schrei Jesu am Kreuz die lauten und leisen Schreie aller Gequälten auf dieser Erde zu allen Zeiten sammeln. Jesus Christus versteht als Sohn Gottes jeden Leidenden, jeden Trauernden, jeden Aufschrei, jeden Verrat, jeden Schmerz, der aus Hinterhältigkeit, Grausamkeit, Verrat und Intrige erwächst. Judas, ein Vertrauter Jesu, hatte den Pharisäern den Hinweis gegeben, wo sie Jesus unauffällig festnehmen konnten - er verriet Jesu. Pilatus, der die Macht gehabt hätte und genau wusste, dass Jesus unschuldig war, wusch seine Hände in Unschuld - war also feige und berechnend. Die Schriftgelehrten, die in ihren Schriften das Kommen des Messias vorausgesagt bekommen hatten und die dazu aufgerufen waren, Tag und Nacht über Gottes Wort nachzudenken, ließen sich dazu verleiten, gegen Jesus zu polemisieren. Als sie merkten, dass sie damit nichts auszurichten imstande waren, weil, wie sie selbst sagten, Gott, der Vater, mit ihm war, begannen sie, ein Mord-Komplott zu schmieden und dann auch auszuführen. Die vielleicht tragischste Rolle aber spielte das Volk. Denn dieses Volk hatte erlebt, wie Jesus viele von ihnen geheilt hatte, ja, wie er sogar Menschen, die tot waren, wieder ins Leben zurückgeholt hatte, wie er für sie eintrat, sie von ihrer schweren Last befreien wollte, die die Pharisäer ihnen auferlegt hatten - doch was tat dieses Volk? An einem Tag feierten sie Jesus als Messias, aber schon wenige Tage später schrien sie: „Kreuzige ihn!" (Mk. 15, 13)

„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
Die BIBEL, Joh. 3, 16

Das sind Zeichen, die uns zu denken geben sollten. Egal, ob wir in unserer Haltung Jesus gegenüber den Pharisäern, Pilatus, Judas oder dem Volk ähneln. Hinter jeder dieser Rollen steckt die Gefahr, uns gegen das Leben zu stellen, das Jesus verkörperte - auf die Seite der Gewalt und des Todes, für die „Barabbas" steht. Für ihn entschied sich das Volk, obwohl er wegen eines gewaltvollen Umsturzversuches im Gefängnis saß. Alle trugen dazu bei, dass Jesus gekreuzigt wurde, alle machten sich die Hände schmutzig. Die religiösen Führer. Die politische Elite und ihre Anhänger. Judas, der Vertraute. Das Volk. Und doch hatte alles einen tieferen Sinn und einen weisen, ja, geradezu wunderbaren Zusammenhang. So ist Gott, der Vater im Himmel, der Schöpfer des Universums, der jede Menschen-Weisheit als Torheit entlarvt, weil ihr Denken nicht weit genug reicht.

„Zur Sünde gemacht"

Die Kreuzigung Jesu war der Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte, weil darin die Dummheit und Gewalttätigkeit des Menschen unüberbietbar zum Ausdruck kam. Doch gleichzeitig war das Kreuz auch der Triumph dessen, der sie erlitt. Denn am Kreuz errang Jesus den Sieg über die Macht der Sünde und des Todes, indem er stellvertretend für unsere Sünden starb. Gott, der Vater, sorgte dafür, dass es anders kam als Menschen es in ihrer Bosheit erdacht und geplant hatten - und zwar ganz anders.

„Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“
Die BIBEL, 1. Joh. 1, 8

Das Kreuz - Ereignis der Weltgeschichte

Jesus starb nicht als gescheiterter Wanderprediger. Das belegen die Berichte im Neuen Testament eindeutig. Er ging vielmehr freiwillig, dem Willen des Vaters folgend ans Kreuz. „Gott hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben." (Röm. 8, 32)

Wer den Bericht über die letzten 24 Stunden des Lebens Jesu in der Bibel liest, dem werden besonders drei Szenen auffallen

  1. Einsetzung des Abendmahls
    Diese Worte Jesu sollen uns Menschen an Jesu Tod erinnern. „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut." (Luk. 22, 20) Dieser neue Bund wird in der Bibel bereits vom Propheten Jeremia vorhergesagt (Jer. 31, 31). Als Kennzeichen dieses neuen Bundes wird schon bei Jeremia das Geschenk der Sündenvergebung genannt. Durch Jesu Kreuzigung wurde diese Prophezeiung Wirklichkeit.

  2. Der Gebetskampf Jesu im Garten Gethsemane
    Der Kelch, vor dem er zitterte, war nicht allgemein das Leiden - das allein wäre schon Grund zum Zittern! - sondern in alttestamentlicher Bildsprache ist der „Kelch" eine stehende Wendung für den heiligen Zorn Gottes. Jesus zitterte davor, dass auf ihn, den Sündlosen, die Sünde der ganzen Welt gelegt werden sollte.

  3. Der Schrei der Gottverlassenheit am Kreuz
    „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" So rief Jesus. Das war der Verzweiflungsschrei des Verlassenseins. In der Bibel heißt es: „Den, der ohne jede Sünde war, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, damit wir durch die Verbindung mit ihm die Gerechtigkeit bekommen, mit der wir vor Gott bestehen können." (2. Kor. 5, 21) Jesus musste die ganze Gottverlassenheit und Verdammnis ertragen, die wir als Menschen ohne Jesu stellvertretenden Tod ertragen müssten. Wahrscheinlich war dies - neben all den anderen Schmerzen der Marter und des Verrats - das am schwersten zu Ertragende für Jesus: dieses Verlassensein von Gott.

Bleibt die Frage: Musste das alles wirklich sein? Wäre die Erlösung der Menschen nicht auch anders möglich gewesen? Diese Frage stellen sich viele Menschen, die über die Kreuzigung nachdenken. Einen Hinweis auf die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu für unsere Erlösung geben die Schlüsselworte rund um das Kreuzesgeschehen - wie Sühne, Stellvertretung, Loskauf, Rechtfertigung, Versöhnung; all diese Worte stammen aus der Welt des Rechts.

Musste Gott so handeln?

„Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“
Die BIBEL, Joh. 15, 13

Diese Frage können wir letztlich nicht beantworten. Aber sicher ist, dass wir das Wesen der Heiligkeit Gottes wahrscheinlich immer noch nicht begreifen. In der Bibel wird davon gesprochen, dass die Folge der Sünde der Tod ist. Und genau das wird auch bei Jesu Kreuzigung deutlich. Jesus, der nie eine Sünde begangen hatte, musste, wie es in der Bibel heißt, „zur Sünde gemacht werden", damit er als komplett schuldloses Opfer stellvertretend für uns in den Tod gehen konnte, um uns zu erlösen aus diesem Tod. An ihm wurde also das Gericht vollstreckt, das an uns, die wir immer wieder sündigen, hätte vollstreckt werden müssen. Wer nun dieses stellvertretende Opfer Jesu annimmt und Jesus bittet, teilhaben zu dürfen an diesem Opfer, der ist gerettet und wird nicht mehr in das Gericht kommen, wie Jesus sagt: „Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen." (Joh. 5, 24) Was Sünde wirklich ist, erkennen wir erst, wenn wir das Geschehen am Kreuz sehen und die Worte der Bibel an uns heranlassen, dass es bei diesem Kreuz um uns geht - um dich und mich. Das ist die zentrale Aussage der christlichen Botschaft: Der Tod Jesu geschah „für uns", d. h. an unserer Stelle, zu unseren Gunsten, damit uns vergeben werden kann. Das zentrale Anliegen des Kreuzes ist Vergebung. Sühne macht Vergebung möglich. Zur Sühne gehört ein Opfer. Billiger als Leben für Leben geht es nicht. „Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen." (1. Petrus 2, 24) Dadurch dass er ganz Gott und ganz Mensch war, konnte er das und wurde so zum Erlöser für alle, die sein Angebot annehmen und an ihn glauben.

„Niemand kann das Geheimnis des Sterbens Jesu erfassen, der nichts von eigener Schuld weiß.“
Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910), deutscher Theologe, Gründer von Bethel und zahlreichen Hospizen

Wenn wir also fragen, was der Kreuzestod Jesu bewirkt hat, erhalten wir von Jesus selbst und von den Aposteln drei Antworten:

  1. Erlösung
    Wir waren verkauft an eine fremde Macht, an die Macht der Sünde, des Satans und des Todes. Christus hat uns durch seinen Tod davon losgekauft von dieser Macht, damit wir fortan ihm gehören. Ziel der Erlösung ist deshalb auch nicht die Autonomie, sondern die dankbare Frage nach Gottes Willen.

  2. Rechtfertigung
    Gott, die höchste Instanz des Universums erklärt den zu 100% sündigen Menschen für 0% schuldig. Die Schuld wird gelöscht, weil Jesus für ihn bezahlt hat. Das Leben kann noch einmal beginnen.

  3. Versöhnung
    Der so mit Gott Versöhnte hat „Frieden mit Gott". Er wird in Gottes Familie hineingeboren, hineinadoptiert und hat dadurch wieder freien Zugang zu Gott, das Recht, als „Kind Gottes" im Gebet mit ihm zu sprechen.

Wer einmal miterlebt hat, wie Einzelne, aber auch ganze Völker, die einst tödlich verfeindet waren, zur Versöhnung finden, zu einem neuen Miteinander, der ahnt, was die Versöhnung am Kreuz für eine enorme Bedeutung hat.

Das Geheimnis des Kreuzes

„Das Kreuzzeichen [...] sagt uns, dass es auf der Welt eine Liebe gibt, die stärker ist als der Tod, stärker als unsere Schwächen und unsere Sünden.“
Papst Benedikt XVI (geb. 1927)

Und trotzdem stehen wir vor einem Geheimnis, wenn wir über den stellvertretenden Sühnetod Jesu nachdenken. Denn dieses gewaltige Ereignis der Kreuzigung ganz zu ergründen, wird letztlich nie möglich sein. Es ist Gottes geheimnisvolles Wirken, seine Weisheit und sein Weg mit uns Menschen. In diesem Sinn ist das Kreuz uns entweder ein großes Ärgernis (z. B. für Muslime) oder eine großartige Kraft Gottes (für gläubige Christen). Das eine schließt das andere aus. Das wird leider immer so bleiben.

In der Bibel heißt es dazu: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!" (2. Kor. 5, 19-20) Die Frage, die dadurch an uns gerichtet wird, lautet: Bleiben wir weiter auf dem Weg der Selbsterlösung und betrügen uns dabei selbst? Oder nehmen wir das Angebot des stellvertretenden Opfertodes Jesu an und ergreifen dadurch unsere Errettung? Wer Letzteres wählt, wird erleben, was rettender Glaube in Jesus ist und wie Gott sein Leben erneuert. Doch die Antwort auf diese Fragen muss sich jeder selbst geben. Als Christen haben wir keine ausgeklügelte Erklärung für das Leid in der Welt.

Auch die oft gestellte Frage, warum ein liebender Gott all das Furchtbare in der Welt zulassen kann, gibt es keine einfache Antwort. Aber wir können als Christen sagen, dass wir zwar Gottes Wege nicht durchschauen, sie aber auch nicht durchschauen müssen. Denn Gott selbst antwortet in der Geschichte auf diese Frage. Am eindrücklichsten und nachhaltigsten in Jesus, seinem Sohn. Christlicher Glaube hat die Gewissheit: Gott hat meine Schuld an meiner Stelle getragen. Er ist in Jesus von Nazareth einer von uns geworden. Der ewige Gott als sterblicher Mensch. Muslimen und vielen modern denkenden Menschen ist all das eine Provokation, für einen gläubigen Christen ist es jedoch die Lösung für die großen Probleme des Menschen. So lesen wir im Brief an die Korinther in der Bibel: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren gehen, uns aber, die wir selig werden, ist‘s eine Gotteskraft." (1. Kor. 1, 18)

 

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