01.02.2018

Warum wir Vorbilder brauchen

Auf die Frage, wer die größten Vorbilder der Deutschen sind, landet laut Umfragen kein TV-Star, kein Sportler, kein Schauspieler und auch kein Pop-Musiker auf Platz 1, sondern die eigene Mutter. Mütter sind also noch immer das Vorbild schlechthin. Väter kommen auf Platz drei, hinter Persönlichkeiten wie Mutter Teresa oder Nelson Mandela. Das bedeutet, dass die meisten Menschen offensichtlich noch immer viele gute Erfahrungen mit ihren Eltern machen, was sie anschließend ein Leben lang mit ihnen verbindet. In der Regel stehen Vater und Mutter für Geborgenheit und Sicherheit, sie geben Stabilität und Orientierung und das trotz ihrer Fehler, Schwächen und Defizite. Das ist beachtlich und sollte uns allen ein Ansporn sein, unsere Vorbildfunktion in der Familie ernst zu nehmen. Denn wer möchte nicht, dass sein Sohn oder seine Tochter ein gesundes, sinnerfülltes und gutes Leben führt? Der beste Weg dazu ist das gute Vorbild, das wir Kindern geben, damit sie sich daran orientieren können. Das müssen wir wissen. In diesem Sinne ist die Familie nach wie vor der Ort, an dem junge Menschen sich auf das spätere Leben vorbereiten und Erfahrungen sammeln können, was ihnen hilft, ihre Ängste zu überwinden und sich für die Herausforderungen des Lebens fit zu machen. 

Von der Bedeutung der Vorbilder

Bis heute gibt es noch immer viele falsche Vorstellungen von einem „Vorbild“. Eine davon ist, dass Vorbilder perfekt sein müssten, keine Fehler und Schwächen haben dürften. Doch diese Vorstellung ist völlig falsch. Idole mögen fehlerlos erscheinen, solange wir nicht hinter die Fassade sehen, weil Medien uns ihre Fehler und Macken erst gar nicht zeigen! Wie es hinter den Kulissen aussieht, wenn die Kamera aus ist, bekommen wir nicht zu sehen. Aber gute Vorbilder sind nicht vergleichbar mit diesen Idolen. Sie sind bodenständig und begegnen uns hautnah. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Menschen oft nur in einem bestimmten Bereich oder durch eine ganz bestimmte Eigenschaft zu einem Vorbild für andere werden. Wenn einer z. B. ein Vorbild mit seinem Fleiß ist oder ein anderer im Umgang mit Menschen, wieder ein anderer klug und weise ist und dadurch ein Vorbild für seine Mitmenschen, so muss das nicht heißen, dass er in allen übrigen Lebenslagen auch ein Vorbild sein muss. Es kommt ja ohnehin nur äußerst selten vor, dass ein Mensch gleich mehrere Gaben und Vorbildfunktionen in sich vereint. Schön, wenn es so ist. Aber es ist, wie gesagt, selten. Viel öfter wird es so sein, dass ein Mensch in einem Bereich ein Vorbild für andere ist, während er das in anderen Bereichen nicht zu sein vermag. Echte Vorbilder wissen das selber am allerbesten und stehen selbstverständlich auch dazu.

„Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“
Die BIBEL, Johannes 13,34

Wie auch immer – Vorbilder dürfen auch Fehler und Schwächen aufweisen. Das ist so. Entscheidend ist nicht, dass der Mensch, der dahinter steht, perfekt ist, sondern dass er echt und ehrlich ist. Dass er anderen nichts vorspielt. Wahre Vorbilder halten nämlich nicht nur eine Fassade aufrecht, sondern sind tatsächlich so, wie sie sind. Sie handeln dabei auch stets transparent, berechenbar und glaubwürdig. Prof. Dr. Margrit Stamm, Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education, em. Ordinaria für Pädagogische Psychologie und Erziehungswissenschaft an der Universität Fribourg, schreibt in einem ihrer Texte zu diesem Thema: „Ein wirkliches Vorbild taugt mehr als zig gute Vorsätze, die sich häufig ohnehin nicht bewähren und selten lange halten. Schon der römische Philosoph Seneca hat gesagt, dass die Menschen den Augen mehr trauen als den Ohren und Vorbilder deshalb den Weg zum Ziel verkürzen.“

Es gibt auch das „negative Vorbild“

Vorbilder sind nicht immer nur positiv. Es gibt auch die negative Variante des Vorbildes. Denken wir nur an das Rauchen. In welcher Familie, in der Vater und Mutter selbst rauchen, kann von einem der Kinder verlangt werden, es nicht zu tun? Da ist es fast schon unmöglich, nicht auch dieser Sucht zu verfallen. Menschen schauen sich eben nicht nur Gutes ab und ahmen es nach, sondern leider auch das weniger Gute. Wenn eine Mutter z. B. immer wieder mit Liebesentzug auf eines der Kinder reagiert, sobald es nicht ihren Erwartungen entspricht, kann es gut sein, dass dieses Kind sich an diesem Negativ-Vorbild orientiert und später genau gleich handelt, obschon es selbst darunter gelitten hat. Wie oft sind solche Muster in einer Familienkonstellation zu beobachten und wie oft werden sie weitergetragen. Das Gefühl, im Leben nie genügen zu können, ist oftmals sehr prägend. Irgendwie sind wir alle zwangsläufig Vorbilder mit unserem Leben. Wenn wir egoistisch leben, werden wir diesen Egoismus als Lebensmodell weitergeben, ob wir wollen oder nicht. Wenn wir voller Hingabe leben, werden wir auch mit diesem Verhalten Spuren hinterlassen und auf andere Menschen eine Vorbildfunktion ausüben. Wie wir auch leben, irgendwie prägen wir mit unserem Verhalten unsere Umgebung mit. Die Frage ist also nicht, ob wir ein Vorbild für andere sind oder nicht, sondern wie wir ein „gutes“ Vorbild sein können. Immerhin sehnen sich gerade junge Menschen mehr denn je nach dieser Orientierung, Authentizität und Glaubwürdigkeit von Lebensmodellen, die ein friedliches, sinnstiftendes und glückliches Leben ermöglichen.

„Christus will keine Bewunderer, sondern Nachfolger.“
Søren Kierkegaard (1813 - 1855)

Vorbilder des Glaubens

In der christlichen Tradition haben Vorbilder immer eine große Rolle gespielt. Die Geschichten der Männer und Frauen Gottes in der Bibel sind nie nur Geschichtsschreibung, sondern immer auch die Beschreibung von Vorbildern, die stets eine besondere Herausforderung für uns als Leser darstellen. Der griechische Begriff „typos“, der im Neuen Testament für „Vorbild“ verwendet wird, bedeutet wörtlich „formen“, „prägen“. Noch heute schwingt deshalb diese Bedeutung in unserem Begriff „Prototyp“ mit. Der „Typ“ ist eine Art Modell, an dem sich andere orientieren. Umgekehrt ist der „typos“ aber selber jemand, der durch andere geprägt worden ist. Dementsprechend kann Paulus sich als Vorbild bezeichnen (1Kor 4,16; Phil 3,17; 1Thess 1,6) und Timotheus dazu auffordern, für andere ein Vorbild zu sein (1Tim 4,12). Die Ältesten einer christlichen Gemeinde sollten immer Vorbilder sein (1Petr 5,3). Das größte Vorbild eines Christen ist aber Jesus Christus selbst. Ihn nachzuahmen ist die eigentliche Aufgabe und gleichzeitig das Ziel eines Christen. Deshalb kann der Apostel Paulus sagen: „Seid meine Nachahmer, wie auch ich Christi Nachahmer bin!“ (1Kor 11,1). Paulus kann das sagen, weil er weiß, dass der, der von Christus geprägt ist, immer auch prägend wirken wird. Das gute Vorbild, das Jesus uns gegeben hat, wirkt so weiter auf alle nachfolgenden Generationen. Diese „imitatio christi“, wie man die Nachfolge des Christen nennt, ist keine mystische Vereinigung mit dem Sohn Gottes, sondern eine Ausrichtung des praktischen Lebens am Vorbild des Heilands der Welt. Christen sollen so leben, wie Christus gelebt hat. Sie sollen in seine Fußspuren treten. Christsein orientiert sich an seinem guten Handeln in dieser Welt und wird gerade dadurch heilsam für die Welt.

„Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen!“
Die BIBEL, Matthäus 7,12

Vorbilder gesucht

Wie gesagt, heute schreit die Welt geradezu nach glaubwürdigen Vorbildern. Wir brauchen Menschen mit Rückgrat und festen Überzeugungen, die auch mal gegen den Strom schwimmen und ihr Fähnchen nicht nur nach dem Wind richten. Denen Wahrhaftigkeit wichtiger ist als Popularität. Das können ruhig Menschen mit Ecken und Kanten sein – wenn es Menschen mit Profil und Charakter sind, werden sie Spuren hinterlassen. Das steht fest. Wer jetzt klagt, dass es solche Menschen heutzutage überhaupt nicht mehr gibt, kann ja ganz einfach bei sich selbst anfangen. Vorbilder packen immer an, übernehmen Verantwortung, machen sich die Hände schmutzig und leben ihre christlichen Werte – denn wo ein Mensch anfängt, die wahren christlichen Werte zu leben, bleibt es nicht ohne Folgen – und genau danach suchen wir heute.

 

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