01.09.2021

Wenn Leuchttürme fallen

In Europa gehen nur noch einige wenige Prozent der Bevölkerung sonntags in eine Kirche. Viele, die sich als Christen bezeichnen, wissen, wenn sie gefragt werden, was sie glauben, im Detail kaum etwas darauf zu antworten. In den Großstädten haben viele nicht einmal mehr den Wunsch nach einer kirchlichen Beerdigung.

Das alles zeigt, dass das Zeitalter des christlichen Abendlandes zu Ende geht. Die Frage ist, was das bedeutet. Ist die Lücke, die das Christentum hinterlässt, zu füllen? Im Moment werden christliche Werte einfach mit fremden religiösen Ansichten ersetzt. Aberglaube, Esoterik, der Glaube an den Einfluss des Mondes oder irgendwelcher Geister haben noch immer Hochkonjunktur. Millionen Menschen treffen sich regelmäßig in esoterischen Zirkeln. Tausende haben sich dem Buddhismus zugewandt. Hinduismus und Islam sind auf dem Vormarsch. Hexenkulte, Horoskope und Wahrsager machen ihre Geschäfte.

„Werte-Neutralität“ - gibt es das?

Viele Menschen glaubten lange Zeit, dass es so etwas wie „Werte-Neutralität“ gibt. Doch das war eine Illusion. Das merken wir spätestens jetzt. Wer Werteneutralität und Selbstbestimmung zum Maß aller Dinge setzt, fördert damit eine Gesellschaft, in der bald das Recht des Stärkeren herrscht. Das zeigt sich da, wo die Selbstbestimmung des einen Menschen mit der Selbstbestimmung eines anderen in Kollision gerät. Das ist z. B. in der Frage der Abtreibung der Fall. Ab wann ist menschliches Leben schützenswert? Wer bestimmt das? Wie lange ist ein Leben lebenswert? Wer entscheidet darüber in einer „werteneutralen“ Gesellschaft und nach welchen Kriterien?

Wir sehen, wo keine allgemein gültigen Werte mehr anerkannt werden, wie das mit den christlichen Werten lange der Fall war, öffnen wir der Willkür Tür und Tor.
In Deutschland z. B. werden offiziell 100.000 Kinder jährlich vor ihrer Geburt im Mutterleib umgebracht. In Wirklichkeit sind es wahrscheinlich bis zu 300.000. Wer legt fest, dass diese Menschenleben weniger wert sind als die Selbstbestimmung ihrer Mütter?

In den Niederlanden beispielsweise wird bereits seit Jahren Euthanasie praktiziert. Werden ältere Menschen nach dem Grund dafür gefragt, dass sie sterben wollen, geben sie an, dass sie niemandem zur Last fallen möchten, dass sie verarmt sind, oder niemandem im Weg stehen möchten. Sterbehilfeorganisationen verlangen bereits, den Rechtsrahmen noch weiter auszuweiten auf Menschen, die ihr Leben als „abgeschlossen“ betrachten oder sich als „lebensmüde“ bezeichnen.

Wir beklagen in unseren Ländern eine Zunahme an Gewalt, insbesondere unter Kindern und Jugendlichen. Wie aber sollen Jugendliche Respekt vor dem Leben haben, wenn die Gesellschaft es ihnen nicht vorlebt und stattdessen Gewalt gegen wehrlose Ungeborene und alte Menschen anwendet? Ist das nicht alles ein und derselbe Geist, der hier unsere Zeit bestimmt? Die Frage ist, was uns in unserem Werteverständnis heute überhaupt noch verbindet. Ist es das, was die Mehrheit für richtig hält? Wenn ja, ist Demokratie dann vielleicht sogar gefährlich, sobald sie sich keinem allgemein gültigen Wertesystem mehr unterordnet?

Wenn es keine unantastbaren Werte und Rechte mehr gibt - insbesondere das Recht auf Leben - kann es dazu kommen, dass eine Mehrheit einer Minderheit wieder das Recht auf Leben nimmt. Glauben wir im Ernst, dass all das, was wir aus der Geschichte kennen, nicht zu jeder Zeit wiederkommen kann? Insbesondere dann, wenn eine solche Minderheit sich nicht artikulieren und wehren kann. Bei ungeborenen Kindern und hilflosen älteren Menschen ist das doch bereits der Fall.
Wo es kein allgemein gültiges Wertesystem mehr gibt, ist alles möglich. Wenn Töten kein Verbot mehr ist, wie es das in den 10 Geboten der Bibel über die Jahrhunderte hinweg war und bis heute ist, wer kann einer Mehrheit dann noch sagen, was richtig und was falsch ist? Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat uns gezeigt, wie mühelos grundsätzliche Rechte, wie das Recht auf Leben, fallen. Wir werden sehen, wohin uns die Entwicklung im Bereich der Euthanasie noch führen wird.

Was wir wissen müssen

Wir sollten lernen zu verstehen, welche Zeitströmungen uns prägen. Zu glauben, wir würden in einer „werteneutralen“ Gesellschaft leben, wäre sicher naiv. Vielmehr werden wir die schwierige Aufgabe anpacken müssen, zu lernen „nein“ zu sagen. Aber haben wir überhaupt noch den Mut dazu? Können wir „nein“ sagen, wenn die Gebote der Bibel verworfen werden? Wenn das Töten von Babys im Mutterleib zu einer „Fristenlösung“ wird?

Wir sollten wissen, was wir glauben und wem wir glauben. Glauben wir überhaupt noch an Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde? Oder glauben wir vielleicht bereits an den Menschen? Früher, so heißt es, hatten Menschen 40 Jahre Lebenszeit und darüber hinaus die feste Hoffnung auf die Ewigkeit. Heute haben die allermeisten Menschen bestenfalls noch 100 Jahre. Aber sind wir damit nicht um vieles ärmer geworden? Ganz sicher.

Wer die Bibel kennt, weiß, dass Jesus kurz vor seiner Gefangennahme und der anschließenden Kreuzigung für die Einheit seiner Kirche gebetet hat. Warum? Damit „die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“, so heißt es in Johannes 17,21.
Es geht also nicht um unsere Glaubwürdigkeit, sondern darum, dass Jesu Glaubwürdigkeit durch Spaltungen unter Christen unterminiert wird (Johannes 17,20-23). Wo Gottes Werte, Gebote und Ordnungen Menschen berühren und überzeugen sollen, müssen Christen sich zuerst um Einheit untereinander bemühen. Wo immer Christen als Beispiel dafür stehen, wie Jesus Christus Frieden und Freude und das von ihm selbst verheißene Leben in Fülle bringt, da können sie auch verstanden werden. Wenn jedoch Christen nicht einmal dazu bereit sind, sich dieser Aufgabe zu stellen, wie sollen sie ein Zeugnis für die Glaubwürdigkeit Jesu und ein Beispiel für sein Wirken sein? Gottesdienste, Versammlungen und persönliche Gebete sind wichtig, doch noch wichtiger als das, ist das Gebet für die Einheit der Christen.

„Allein den Betern kann es noch gelingen“ - so heißt es in einem Text von Reinhold Schneider, zu dem Jürgen Werth, ehemals Direktor des ERF in Deutschland, eine wunderbare Melodie geschrieben hat. Dieses Lied spricht aus, worauf es jetzt ankommt. Ein Christ muss beten, um dem Ansturm der Herausforderungen gewachsen zu sein.

Mag sein, dass jede Generation ihre eigene Zeit als die schwierigste empfindet. Doch wann in der Geschichte der Menschheit gab es derartige Herausforderungen, wie wir sie heute überall sehen? Wann gab es eine solche Vielfalt an Verführung und Ablenkung wie heute? Wann gab es so etwas wie das Internet, das bereits für unsere Kinder eine noch nie dagewesene Verführung darstellt? Wann gab es eine derartig weit verbreitete Christenverfolgung? Deshalb sind wir aufgefordert zu beten. Wer betet, der kann bewahrt bleiben. Denn dass wir in einer besonderen Zeit voller Herausforderungen leben, können wir nicht ändern. Aber wir können etwas dafür tun, dass wir bewahrt bleiben - der Schlüssel dazu ist das Gebet!

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