01.06.2009

Werte, die wir brauchen

In den letzten Jahren erscheinen immer mehr Ratgeber zur praktischen Lebensbewältigung in den Regalen der Buchhandlungen – auch im Fernsehen ist das Thema schon längst angekommen. Werteorientierung und Sinnstiftung stehen in den Bestsellerlisten ganz oben. Bücher, die Orientierung anbieten und konkrete Lösungen bringen, sind heute immer gefragter. Der langjährige Bestseller von Peter Hahne „Schluss mit lustig" ist nur ein Beispiel dafür. Ein anderes ist „Ich bin dann mal weg" von Hape Kerkelin. Auch andere Bücher zur Selbstfindung haben Konjunktur, wie z. B. die Neuerscheinungen über den Jakobsweg bis hin zur meditativen Klangwelt der „Mönche", die einen Rekord nach dem anderen aufstellen. Dem gegenüber stehen die Ereig­nisse in Erfurt 2002, Emsdetten 2006 oder Winnenden 2009. Wann immer solche Ereignisse die Gesellschaft aufrütteln, bringt das Fernsehen gern Talkshows, in denen die Teilnehmer in der Regel wie mit einer Stimme sprechen und sagen: „Wir müssen Werte vermitteln – sonst läuft uns die ganze Gesellschaft am Ende noch Amok!"

Doch von welchen Werten ist hier die Rede?

Gibt es dazu noch eine einheitliche Richtung? Einen Konsens darüber, was Werte ausmacht? Warum wir sie brauchen? Von wem sie kommen? Meinen wir die Werte, die in den letzten 2000 Jahren für uns alle mehr oder minder selbstverständlich waren? Mixt sich heute nicht jeder seinen ganz persönlichen Wertecocktail – ohne viel darüber nachzudenken? Wie aber kann so ein Umgang mit Werten gutgehen? Wer in seinem Leben Werte vertreten und danach leben will, braucht doch mehr, als ein wahl- und planloses Übernehmen von irgendwelchen Werten, zu denen einige sich bekennen, während der Rest sich einen Dreck darum schert. Das alles reicht doch nicht, wenn wir von Werten sprechen. „Wir wissen nicht mehr, was wir achten und was wir ächten wollen", sagte die Leiterin des renommierten Instituts für Demoskopie Allensbach, Renate Köcher, während eines Kongresses christlicher Führungskräfte in Leipzig. Und sie hat Recht. Denn tatsächlich haben sich die Wertigkeiten in den vergangenen Jahren nicht nur beachtlich verschoben, die Vorstellungen darüber, was Werte überhaupt sind, sind diffuser geworden. Viele Menschen haben schlicht und einfach keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, was in ihrem Leben  vielleicht wichtig wäre. Das sagen sie zumindest, wenn man sie danach fragt. Diese Menschen stellen sich gar nicht mehr die Frage nach dem „Woher und Wohin des Lebens" und leben stattdessen orientierungslos in den Tag hinein. Sie handeln nach ihrem Gutdünken, je nachdem, wie ihnen zumute ist oder wie sie es verstehen. Die Zeitungsberichte über Korruption, Kindesmissbrauch, Kindesmisshandlungen, Scheidungen, Euthanasie und Abtreibung häufen sich. Hinter den Kulissen verzeichnen wir aber auch eine Zunahme von Fällen psychischer Verwahrlosung bei Kindern, eine Rückkehr zum Recht des Stärkeren, Lieblosigkeit und aller daraus resultierenden Verhaltensweisen. Darüber berichtet keine Zeitung, aber wir können es oft genug in unserer Umgebung beobachten. Doch all das ist nur die eine Seite, denn andererseits steigt die Sehnsucht der Menschen nach dem Ewigen, wie auch der bekannte Zukunftsforscher Matthias Horx festgestellt hat. Er schreibt: „Je mehr wir mit virtuellen Zeichen umgehen, je mehr die hastige Schrift der Computerterminals unser Leben prägt, desto größer wird die Sehnsucht der Kultur nach Ewigem." In der Bibel lesen wir in der Apostelgeschichte, Kap. 19, Vers 26: „Was mit Händen gemacht ist, das sind keine Götter." Das heißt im Grunde auch, dass keine menschengemachten Werte uns den Halt bieten können, den wir brauchen. Wirkliche, bleibende Werte müssen von Gott kommen, der sie setzt, aufrecht erhält und geltend macht. Deshalb beginnt Gott seine Rede von den Zehn Geboten auch mit den Worten: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat." (2. Mose 20, 2) Wir können uns fragen, warum die ethischen Anweisungen der Zehn Gebote von Anfang an auf Gott bezogen sind. Doch die Antwort ist einfach: Wenn wir Gottes Autorität nicht achten, sind Grenzen nicht aufrechtzuerhalten. Wo das der Fall ist, setzen wir uns der menschlichen Willkür aus. Beziehungen zählen mit Sicherheit zum Wesentlichsten unseres Lebens. Wenn sie nicht gelingen, gelingt das ganze Leben nicht. Das betrifft unsere Beziehung zu Gott ebenso wie die zu anderen Menschen.

Wie aber sollen Beziehungen ohne Werte gelingen?

Werte wie Liebe und Verantwortung, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, Treue, Barmherzigkeit, Rücksichtnahme und Großherzigkeit lassen sich nicht verordnen, wir müssen sie uns aneignen – und praktizieren. Erst dann können sie in unserem Leben wirksam werden. Da aber, wo Gott sagt: „Ich bin dein Gott", heißt das, dass Gott sich als der Schöpfergott vorstellt, der uns ein Leben schenken möchte, das Orientierung, Werte und Verheißungen mit sich bringt. Und genau das ist das christliche Angebot, das uns in Jesus Christus gemacht wird. Bleibt die Frage, ob all das auch noch im 21. Jahrhundert Gültigkeit hat. Die Antwort ist: Ja. Denn so, wie das christliche Angebot bis heute gilt, sind auch die Zehn Gebote bis heute noch aktuell.

Das 21. Jahrhundert und die Zehn Gebote

Tatsächlich werden die Zehn Gebote bis heute als die entscheidende Anleitung für ein gelingendes Leben wie auch als die Grundlage für Moral und Ethik angesehen – und das weit über das so genannte christliche Abendland hinaus. Wenn heute in diesem Bereich immer mehr Kompromisse gemacht werden – und das nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den Kirchen – stellt das die Gültigkeit der Gebote nicht in Frage. Vielmehr müssen wir uns fragen, wohin diese Kompromisse führen werden. Die Werteordnung der westlichen Welt jedenfalls, wie sie z. B. in der UN-Menschenrechts-Charta zum Ausdruck kommt, basiert auf dieser göttlichen Offenbarung der Zehn Gebote. Die Frage ist also nicht, ob die Zehn Gebote noch Gültigkeit haben, sondern wie wir sie in einer Welt wie der unseren noch imstande sind zu leben. Genau darum geht es. Denn nur wer die Gebote lebt, in dessen Leben können sie auch wirksam werden. Hier allerdings tun sich viele Menschen heute schwer. Es fängt schon damit an, dass nur die wenigsten die Zehn Gebote überhaupt noch kennen. Deshalb zur Auffrischung:

Die Zehn Gebote

Das erste Gebot
„Du sollst keine anderen Götter haben neben mir." (Die Bibel, 2. Mose 20, 3) „Fertige dir keine Götzenstatue an, auch kein Abbild von irgendetwas am Himmel, auf der Erde oder im Meer. Wirf dich nicht vor solchen Götterfigu­ren nieder, bring ihnen keine Opfer dar! Denn ich bin der Herr, dein Gott." (2. Mose 20, 5) Das zweite Gebot
„Du sollst meinen Namen nicht missbrauchen, denn ich bin der Herr, dein Gott! Ich lasse keinen ungestraft, der das tut!" (2. Mose 20, 7) Das dritte Gebot
„Achte den Sabbat als einen Tag, der mir allein geweiht ist! Sechs Tage sollst du deine Arbeit verrichten, aber der siebte Tag ist ein Ruhe­tag, der mir, dem Herrn, deinem Gott, gehört. An diesem Tag sollst du nicht arbeiten, weder du noch deine Kinder, weder dein Knecht noch deine Magd, auch nicht deine Tiere oder der Fremde, der bei dir lebt. Denn in sechs Tagen habe ich, der Herr, den Himmel, die Erde und das Meer geschaffen und alles, was lebt. Aber am siebten Tag ruhte ich. Darum habe ich den Sabbat gesegnet und für heilig erklärt." (2. Mose 20, 8 -11) Das vierte Gebot
„Ehre deinen Vater und deine Mutter, dann wirst du lange in dem Land leben, das ich, der Herr, dein Gott, dir gebe." (2. Mose 20, 12) Das fünfte Gebot
„Du sollst nicht töten!" (2. Mose 20, 13) Das sechste Gebot
„Du sollst nicht die Ehe brechen!" (2. Mose 20, 14) Das siebte Gebot
„Du sollst nicht stehlen!" (2. Mose 20, 15) Das achte Gebot
„Sag nichts Unwahres über deinen Mitmenschen!" (2. Mose 20, 16) Das neunte Gebot
„Begehre nicht, was deinem Mitmenschen gehört: weder sein Haus noch seine Frau!" (2. Mose 20, 17) Das zehnte Gebot
„Begehre nicht seinen Knecht oder seine Magd, Rinder oder Esel oder irgendetwas anderes, was ihm gehört!" (2. Mose 20, 17) Ich möchte wetten, dass viele von uns sich keine Vorstellung machen, wie richtungweisend und grundlegend die Zehn Gebote für unsere westliche Gesellschaft waren.

Der Wert der Würde des Menschen

In den Verfassungen zahlreicher europäischer Staaten steht es zu lesen – wie z. B. im Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar." Dieses staatliche Bekenntnis hat seinen Ursprung im christlichen Menschenbild, dem die Zehn Gebote zugrunde liegen.

Die Werte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Diese klassischen demokratischen Werte, die so oft der französischen Revolution zugeschrieben werden, sind eindeutig auf das Chris­tentum zurückzuführen. Diese Werte haben jüdisch-christliche Wurzeln und gehen damit viel weiter zurück als auf die französische Revolution, in deren Verlauf an die Stelle von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vielmehr die grausame Herrschaft der Guillotine trat. Der christliche Glaube hat unser westliches Denken fast 2000 Jahre lang geprägt. In dieser Zeit sind viele christliche Werte so sehr zum Allgemeingut geworden, dass wir heute oft gar nicht mehr daran denken, dass es diese Werte ohne das Christentum gar nicht gäbe.

Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung

Auch das sind Werte, die aus der Bibel stammen. Viele würden sie vermutlich irgend­welchen Orga­nisationen wie Greenpeace, Amnesty International oder der UNICEF zuschreiben, doch es sind christliche Werte, die in der Autorität der Bibel ihren Ursprung haben. Insgesamt gesehen war das christliche Menschenbild in seinen Anfängen sogar revolutionär. In der dem Christentum vorausgehenden Antike galt der Mensch als Exemplar seiner Art; als Individuum hatte er jedoch so gut wie keine Bedeutung. Erst das jüdisch-christliche Menschenbild sah den Menschen als Person und als Gottes Ebenbild und verlieh ihm dadurch einen Wert und eine Würde, die bis dahin undenkbar waren – und das unabhängig von Geschlecht, Rasse oder Leistung.

Der Wert der Gleichberechtigung

Gleichberechtigung von Mann und Frau – auch das ist ein christlicher Wert, der
z. B. in islamisch geprägten Ländern bis heute nicht zu finden ist. Der biblische Schöpfungsbericht hingegen sagt klar, dass der Mensch in seinem Wert unterschiedslos vor Gott dasteht, egal ob als Mann oder Frau. Das führte dann auch dazu, dass das Prinzip der Einehe eingeführt wurde, demzufolge einem Mann eine Frau als ebenbürtige Partnerin gegenübersteht – und das für ein ganzes Leben. Im Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen," ist dieser Wert der ehelichen Beziehung und der Treue enthalten. Im Gebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren," wird der Wert der gegenseitigen Verantwortung der Generationen betont.

Der Wert des Sonntags als Tag der Ruhe und Kontemplation

Das Gebot: „Du sollst den Feiertag heiligen," hebt nicht nur die enor­me Bedeutung eines Tages der Ruhe nach sechs Tagen der Arbeit hervor; es hat auch die Kalenderschreibung weltweit beeinflusst. Denn unser Wochen-Kalender hat mit natürlichen Rhythmen überhaupt nichts zu tun, weder mit dem Tag-Nacht-Rhythmus, noch mit dem Mond-Rhythmus oder dem Jahresablauf, sondern es ist eine willkürliche Setzung, dass am siebten Tag nicht gearbeitet wird. Und diese Vorschrift – oder, besser gesagt: dieses Recht – kommt direkt aus dem Alten Testament. „Du sollst den Feiertag heiligen" ist also ein ausgesprochen religiö­ses Gebot und bedeutet letztlich, dass wir uns am siebten Tag daran erinnern sollen, dass wir uns nicht selbst gemacht haben, sondern dass wir durch Gott den Schöpfer auf dieser Erde sind, dem wir einmal Rechenschaft über unser Leben geben müssen.

Der Wert der Nächstenliebe

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst," heißt die vielleicht berühmteste Aussage der Bibel. Das bedeutet, dass auch der Arme und Schwache wertvoll ist, weil er von Gott geschaffen wurde. Die Bibel geht sogar noch darüber hinaus und fordert, dass wir auch unsere Feinde lieben. Wie verheerend sich der Verzicht auf diesen Wert auswirkt, hat uns die jüngere Geschichte gezeigt. Es ist jetzt erst gut 70 Jahre her, dass die Nationalsozialisten in Deutschland diese christlichen Grundsätze missachteten und den Mythos vom arischen Menschen propagierten. Dadurch waren Mitleid, Nächstenliebe und Fürsorge plötzlich nur noch für diese fiktive arische Rasse auszuüben. Wir wissen, was daraus wurde. Menschen wurden in Gaskammern vernichtet, so genanntes „unwertes Leben" wurde gnaden- und gewissenlos aus der Welt geschafft. Wie ganz anders ist das christliche Menschenbild mit seinem Wert der Liebe. Prof. Christoph Levin schreibt: „Das Christentum zeigt sich darin, dass das Ethische nicht als besondere Leistung gilt, sondern als der selbstverständliche Ausfluss des Glaubens. Gottes Selbsterniedrigung, seine Zuwendung zu mir macht mich zuwendungsfähig, nicht allein aus einem Helfen-Wollen heraus, sondern auf der Ebene der Gleichheit vor Gott." Alle diese christlichen Werte haben sich, wie gesagt, in Jahrhunderten der christlichen Tradition entwickelt und in unserer Gesellschaft verankert. Heute wird manchmal bezweifelt, ob sie noch gültig sein können; doch diese Fragen erübrigen sich, je mehr wir erkennen, dass es ohne diese Werte gar nicht geht. Zwar sind wir heute vielfach der Meinung, dass es keine ewigen, unveränderlichen Werte gibt und dass Werte immer nur relativ sind. Doch das ist Illusion. Die christlichen Werte jedenfalls sind nicht beliebig. Sie sind von Gott gesetzt. Wer an Gott glaubt, stellt sich in diese Wertegemeinschaft. Glaube und Handeln sind nicht voneinander zu trennen. Selbst wenn wir uns heute kaum noch bewusst sind, dass unsere Werte zum größten Teil christlichen Ursprung haben, die Entwicklung der nächsten Jahre wird es uns zeigen. Denn überall dort, wo Menschen dem christlichen Glauben den Rücken zukehren, schwinden auch die christlichen Werte. Ohne den Glauben an Gott sind viele christliche Werte auf Dauer nicht haltbar. Inwieweit der christliche Glaube und sein Verständnis von den Werten Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Treue, Nächstenliebe und Solidarität in Zukunft richtungsweisend sein werden, wird sich zeigen – z. B. in der Debatte über „lebenswertes" und „nicht lebenswertes" Leben, bei der Frage nach dem Religions- oder Ethik-Unterricht an Schulen oder in der Frage der Abtreibung.

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