01.03.2010

Zeit der Besinnung

Wer sich „Die zehn Gebote“ genauer ansieht, wird merken, dass bereits das erste Gebot zum Schutz für die Freiheit des Menschen gedacht ist. Wir sollen Gott, den Schöpfer, ehren, heißt es hier und nicht irgendwelche Götzen. Wer sich nämlich einem Götzen zuwendet, wird nicht lange frei sein. Solche Götzen finden sich überall da, wo Gott nicht geehrt wird. Denn alles, was von einem Menschen so sehr Besitz ergreift, dass sein Tun und Streben davon beherrscht wird, ist sein Götze geworden. Das können Arbeit, Sex, Erfolg, Besitz, Genuss, Neigungen oder Abneigungen sein, aber auch Moden oder ein anderer Mensch. Es können aber auch so banale Dinge sein wie das Auto, der tägliche Gang ins Fitnessstudio oder Drogen, Medikamentenmissbrauch oder Alkohol. Es können Hobbys sein, aber auch schlechte Gewohnheiten, Geldgier, ja sogar Kunstgenuss oder hohe Ideale können uns zum Götzen werden. Das Fatale daran ist, dass Götzen nie halten, was sie versprechen. Doch sie machen abhängig. Das vermeintliche „Glück“, das sie uns vorgaukeln, hat immer einen bitteren Nachgeschmack und führt in den Tod. In jedem Fall dient es nicht dem Leben.

Die zehn Gebote (2. Mose 20, 2-17)

  1. Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Ägypten aus der Sklaverei führte. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir, fertige keine Götzenbilder an und verehre sie nicht, denn ich bin ein eifersüchtiger Gott, werde Götzendienst bis ins dritte Glied der Familienlinie heimsuchen, aber über Tausend Generationen will ich die segnen, die mich lieben und meine Gebote halten.
  2. Du sollst meinen Namen heiligen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.
  3. Du sollst den Sabbat heiligen. Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebten Tage sollst du und dein Vieh, deine Dienerschaft ruhen.
  4. Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass du lange lebest auf Erden, in dem Land das ich dir geben werde.
  5. Du sollst nicht töten.
  6. Du sollst nicht ehebrechen.
  7. Du sollst nicht stehlen.
  8. Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinem Nächsten.
  9. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.
  10. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Kind, Knecht, Magd, Rind oder Esel oder irgend etwas anderes, was ihm gehört.

Die zehn Gebote sind wie Schutzplanken für unser Leben, die uns Sicherheit und Schutz gewähren und uns  vor Schaden bewahren. Darum heißt es auch, „Du sollst!“ oder „Du sollst nicht!“ Denn jeder von uns muss selbst entscheiden, ob er sich daran halten möchte oder nicht. Denn das ist das Wesen des freien Menschen, dass er vor die Wahl gestellt wird und sich „frei“ dafür oder dagegen entscheiden kann.

Die zehn Gebote

In dieser Hinsicht sind „Die zehn Gebote“ nicht nur das Herzstück des Alten Testamentes der Bibel, sondern auch Ausdruck einer besonderen Liebe Gottes zu den Menschen. Diese besondere Liebe Gottes kommt im neuen Testament der Bibel dann noch einmal in einer ganz besonderen Art und Weise zum Ausdruck. Das geschieht durch Jesus Christus, dessen Angebot der Errettung uns als Geschenk angeboten wird, das wir nur noch annehmen müssen. Im Alten Testament vermittelten die Gebote den Menschen Gottes Fürsorge und Wegweisung. Zehn Gebote; das sind in der hebräischen Urfassung genau 613 einzelne Worte – eine Zahl, die in der Bibel noch eine andere Bedeutung hat. Im Alten Testament gibt es nämlich insgesamt 613 Gebote und Verbote, die dem Israelitischen Volk zur Richtschnur von Gott gegeben wurden und die Mose für das Volk aufschreiben musste. Als Gott sein Volk, die Juden, aus einer 630-jährigen Knechtschaft in Ägypten befreit hatte, gab er ihnen in der Zeit ihrer Wüstenwanderung „Die zehn Gebote“, um als Einzelne wie auch als ganzes Volk zu überleben. Heute glauben viele, dass sie es nicht mehr nötig hätten, diese Gebote auch nur zu kennen. Viele sind überzeugt, dass Freiheit und Demokratie auch ohne diese Grundsätze der Bibel erhalten werden können. Doch das wird sich als Irrtum herausstellen. Denn jede Revolte gegen die Zehn Gebote führt in die Diktatur. Das erkennen wir auch aus der jüngsten Geschichte des deutschen Volkes. Der Weg in den Nationalsozialismus des sogenannten „Dritten Reiches“ und damit in den 2. Weltkrieg war nämlich nichts anderes als eine Revolte gegen die Gebote Gottes.

Zeiten der Besinnung und Umkehr

Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang doch Zeiten der Besinnung, wie die christlichen Kirchen sie bis in unsere Zeit herauf praktizierten. Es ist noch nicht lange her, da war es selbstverständlich, dass zumindest einmal im Jahr eine solche Zeit der Besinnung eingehalten wurde. Das war die Fastenzeit. Jene 40 Tage vor Ostern, die jeder auf seine Art als Zeit der Besinnung und der Fastenzeit begriff. Diese Zeit war den Menschen verordnet, um – nach dem närrischen Treiben der Fastnachtszeit – sich zu besinnen und über den Wert des Lebens nachzudenken.

Aber warum genau 40 Tage?

Die Zahl 40 hat in der Bibel eine hohe Symbolkraft. Der Prophet Elias wanderte 40 Tage zum Berg Horeb (1. Kön. 19, 8), Moses blieb 40 Tage auf dem Berg Sinai
(2. Mose 24, 18) und das ganze Volk der Israeliten wanderte 40 Jahre durch die Wüste (2. Mose 16, 35). Die Dauer der Fastenzeit wurde im 5. Jahrhundert n. Chr. in Anlehnung an das Fasten Jesu in der Wüste (Mt. 4, 2) auf 40 Tage angesetzt. Genau 40 Tage nach Ostern wird anschließend dann das Fest Christi Himmelfahrt gefeiert. (Apg. 1, 3) Dass man rechnerisch bei der Zeit von Aschermittwoch bis zum Karsamstag auf 40 Tage kam, liegt an den ausgesparten Sonntagen. Sonntage zählten nämlich nicht zu den „Fastentagen“. Schließlich ging es beim Fasten nicht in erster Linie um ein konsequentes Fasten, sondern um eine Zeit der Besinnung und Einkehr, die zu Umkehr führen sollte, wo es nötig war. Deshalb galten die Sonntage auch als etwas, wo man sich 'was gönnen durfte – denn wie heißt es in der Bibel: „Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten.“ (Mt. 6, 16) So aber soll es bei euch nicht sein.

Zeichen der Vergänglichkeit

Als „strenge“ Fasttage gelten heute nur noch der Aschermittwoch und der Karfreitag. Am Aschermittwoch wird den Gläubigen seit dem 12. Jahrhundert Asche auf das Haupt gestreut und ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet mit den Worten: „Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zu Staub zurückkehren wirst.“ Die zeichenhafte Handlung dieses kirchlichen Brauches wird bis heute als Besinnung auf die Vergänglichkeit gesehen, die den Menschen zur Buße führen soll. Eine Buße allerdings, die dem Leben dient. Eine Buße aber auch, die seit dem stellvertretenden Kreuzestod Jesus Christus für all diejenigen in die Osterfreude mündet, die dieses Rettungsangebot Jesu angenommen haben. Dieses Angebot Jesu, das so einmalig und beispiellos in der Geschichte der Menschheit dasteht, dass es jeden nur traurig machen kann, der zusehen muss, wie viele Menschen noch immer  dieses einmalige Angebot Gottes nicht annehmen und in ihrem gesamten Leben achtlos daran vorübergehen.

Das Schweigen des Menschen von heute

Warum schweigen wir Menschen? Warum bedeutet selbst den Klugen die Zeit der Besinnung und Umkehr heute nichts mehr? Warum verwerfen sie die Tradition der Fastenzeit und suchen dennoch danach? Warum wird das, was hinter dem zeichenhaften Brauch von Aschermittwoch steht, heute kaum noch wahrgenommen?

Das Fasten der alten Kirche

In der Zeit der Alten Kirche war die Fastenzeit aber nicht nur eine Bußzeit, sondern vor allem eine wichtige Zeit zur Erinnerung an die Taufe wie auch für die Taufvorbereitung von Menschen, die sich taufen lassen wollten, was damals nur in der Osternacht praktiziert wurde. Menschen, die sich taufen ließen, wurden während der 40 Tage „Photizomenoi“ genannt, das heißt auf Griechisch „die erleuchtet werden“. In den 40 Tagen intensiver Taufvorbereitung wurden sie eingeführt in das Mysterium von Tod und Auferstehung, wie die christliche Kirche es bis heute lehrt. Die Fastenzeit galt auch als „gebundene“ Zeit, weil Christen in dieser Zeit an Verpflichtungen gebunden waren. Diese Pflichten bestanden im Fasten, hauptsächlich im Verzicht auf Fleisch, Milchprodukte, Wein und Eier. In der Karwoche und am Osterfest war ein Christ dazu verpflichtet, an den von der Kirche angebotenen Feierlichkeiten teilzunehmen und – mindest in dieser österlichen Zeit das Bußsakrament, d. h. die Beichte, und das Altarsakrament, d. h. das Abendmahl, zu empfangen. Die Fastenzeit der Alten Kirche bestand also nicht nur darin, dass Christen sich daran hielten, sich mit einer Mahlzeit am Tag zu begnügen und auf Wein und Fleisch zu verzichten, sondern es war vor allem eine Zeit der Besinnung, der Umkehr und Neuausrichtung des Menschen.

Die Zeit der ersten Christen

Von der Zeit der ersten Christen lesen wir in der Bibel, dass die Menschen, die Petrus bei seiner Ansprache am Pfingsttage hörten, davon getroffen wurden. Erschrocken fragten sie, wie es weitergehen sollte. Ob ihr Verhältnis zu Gott nun endgültig zerstört sei. Die Erkenntnis ihrer Schuld traf diese Menschen offensichtlich so sehr, dass sie tatsächlich erschraken. Doch Petrus konnte sie beruhigen. Er konnte ihnen sagen, dass Jesus Christus für sie gestorben ist. Dass er die Strafe, die sie verdient hätten, auf sich genommen hat und damit die Möglichkeit der Sündenvergebung geschaffen hat. Deshalb konnte er ihnen aber auch konkret sagen, was nun zu tun war.  „Kehrt um,“ antwortete er ihnen, „und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“ (Apg. 2, 38)

Was aber bedeuten Buße, Umkehr und Neuanfang?

Wie damals vor rund 2000 Jahren, so geht es auch heute noch darum, dass Menschen erkennen, dass ihre Schuld sie von Gott trennt. Diese Schuld jedoch besteht nicht darin, dass sie das eine oder andere Gebot übertreten haben. Nein, die Schuld des Menschen vor Gott besteht in erster Linie darin, dass ein Mensch glaubt, Gott nicht zu brauchen. Buße zu tun, bedeutet von daher, dass ein Mensch erkennt, dass er Gott braucht und dass er spätestens am Tage seines Todes ohne Jesus Christus verloren ist. Keiner kann sich seine Sünden selbst vergeben. Das kann nur Gott. Genauso kann auch Rettung nur von Gott kommen. Und genau dafür braucht es Zeiten der Besinnung. Weil wir Menschen sonst in den Tag hineinleben und so lange nicht nach diesen wesentlichen Dingen des Lebens fragen, bis es zu spät ist.

Zeiten der Besinnung und der Buße

Wenn den Menschen früherer Zeiten von den christlichen Kirchen solche Zeiten „verordnet waren“, mag das heute als Schikane angesehen werden, in Wirklichkeit waren es Hilfen. Wer weiß, wie viele am Ende ihres Lebens diese Zeiten vielleicht als die wichtigsten Zeiten ihres Lebens erkannten. Denn wo sonst zeigt sich die Liebe Gottes so sehr wie in dem Moment, wo uns im Namen Gottes gesagt werden kann: „Dir sind deine Sünden vergeben. Du bist wieder frei.“ Darauf verweist auch der 1991 verstorbene Schweizer Dichter Max Frisch, der in einem seiner Texte schrieb: „Ein Christ hat die Beichte, um sich von seinem Gewissen zu erholen, eine großartige Einrichtung; er kniet nieder und bricht sein Schweigen, ohne sich den Menschen auszuliefern, und nachher erhebt er sich, tritt wieder seine Rolle unter den Menschen an, erlöst von dem unseligen Verlangen, vom Menschen erkannt zu werden ().“ Viele Sprechzimmer der Psychologen und Psychotherapeuten wären wohl überflüssig, wenn es heute noch eine gesunde, menschenfreundliche Beichtpraxis gäbe, in denen Menschen es sich leisten können, auch Wundes und Dunkles preiszugeben, um dann wieder aufzuatmen und – wie Max Frisch schreibt – „seine Rolle unter den Menschen wieder anzutreten."
Stattdessen müssen wir feststellen, dass Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker von diesen dunklen Geheimnissen der Menschen offenbar mehr begriffen haben als die meisten Christen. Wahrscheinlich müssen Christen erst wieder von solchen Gruppierungen wie den Anonymen Alkoholikern lernen, woran wir Menschen tatsächlich kranken und wie ernst die tödlichen Gefahren in uns sind. Menschen können ihre Schuld zu jeder Zeit vor Gott bekennen. Manchmal jedoch reicht es nicht, wenn wir die Schuld nur still vor Gott bekennen, weil es auch darum geht, dass ein Mensch glauben kann, dass ihm vergeben wurde. Deshalb ist es oft hilfreich, wenn wir unsere Schuld vor einem anderen bekennen, der uns im Namen Gottes die Vergebung zuspricht. Denn es geht darum, dass ein Mensch diese Vergebung existentiell erfasst und selbst daran glauben kann, damit die von Gott bewirkte Vergebung dann auch ihre volle und befreiende Kraft entfalten kann. Deshalb ist auch das Aussprechen von Schuld manchmal wichtig. Das kann schon allein deshalb wichtig sein, um neurotische Schuldgefühle von wirklicher Schuld zu unterscheiden. Letztere sollten wir zu Gott bringen, das andere manchmal aber auch einfach zu einem Arzt oder Psychotherapeuten. In all diesen Beispielen sehen wir, wie hilfreich und sinnvoll die Fastenzeit früherer Zeiten war. Denn es war eine Chance für den Menschen, sich zu besinnen und auch Bilanz zu ziehen, bis er wieder aufleben konnte, weil er wusste, dass ihm vergeben wurde und ein neuer Anfang möglich war. Doch wer sagt, dass das nur in früheren Zeiten möglich war? Warum nicht auch heute? Warum nehmen nicht auch wir Menschen von heute diese Gelegenheit wahr? Was hindert uns daran? Sind wir denn nicht frei zu tun, was wir möchten? Warum nutzen wir  diese Freiheit nicht, um uns „wahrhaft frei machen zu lassen“, wie es uns Jesus anbietet, wenn er sagt: „Wenn euch also der Sohn (Jesus Christus) befreit, dann seid ihr wirklich frei!“ (Joh. 8, 36) Denn eines ist sicher und mehr als tausendfach bestätigt und von Christen in aller Welt erfahren worden: Die Folge wirklicher Umkehr ist Freude in einer neu gewonnenen Freiheit. Warum nur gönnen wir uns diese Freude heute nicht mehr?
 

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