26.01.2023

Gefahren und Chancen heute und morgen (Teil 4)

Aufbruch zur Freiheit (Teil 2)

Aber das hatte bereits der bekannte deutsche Dichter Albert Stifter vorausgesehen, der in einem seiner Texte geschrieben hat: „Untergehenden Völkern schwindet zuerst das Maß. Sie werfen sich auf das Beschränkte und Unbedeutende. Dann suchen sie Genuss und das Sinnliche, suchen Befriedigung ihres Neides gegen die Nachbarn und zuletzt die Unsitte und das Laster. Der Unterschied von Gut und Böse verliert sich, der Einzelne verachtet das Ganze und geht seiner Lust nach. Und so wird das Volk eine Beute seiner inneren Verwirrung oder eines äußeren Feindes.“

Inzwischen stellen wir fest, dass diese Diagnose leider in einem erschreckenden Maß mit der Wirklichkeit übereinstimmt, vor der wir heute stehen. Das „Erziehungsprogramm“ der Aufklärung ist gescheitert. Es zieht sich wie eine tragische Spur durch die Geschichte, dass der „gute Wille“ allein noch keine Gewähr dafür ist, dass auch etwas Gutes entsteht. Denn wie wir aus den täglichen Nachrichten oder auch aus unseren eigenen Erfahrungen wissen, bleibt die Vernunft gerade da oft auf der Strecke, wo übertriebene Emotionen ins Spiel kommen. Und genau das derzeit wieder der Fall.

Woher kommt diese Macht, die uns daran hindert, das zu tun, was wir eigentlich tun möchten, weil wir es als vernünftig und richtig erkannt haben? In der Bibel lesen wir dazu den Satz: „Ich tu nicht das Gute, das ich tun will, sondern das Böse, das ich nicht tun will. Wenn ich aber das, was ich tu, gar nicht tun will, dann handle nicht mehr ich selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt“ (Römer 7,19-20). Es gibt offenbar uralte, kollektive Menschheitserfahrungen, die in uns stecken und uns daran hindern, gut und friedlich zu sein. Das Tragische daran ist nur, dass der Mensch von Natur aus kein Gespür für diese Mechanismen hat. Denn in seiner eigenen Wahrnehmung fühlt er sich frei und merkt nicht, was in ihm sitzt. Genau hier, im Zentrum des Menschenbildes, lag auch der entscheidende Irrtum der Aufklärung. Sie wollte nicht wahrhaben, dass der Verstand nicht unabhängig und souverän ist. Der Mensch ist im Kern seines Wesens eben nicht gut, wie Jean Jacque Rousseau und viele der Vertreter seiner Geistesrichtung glaubten.

Das ist letztlich auch einer der wichtigsten Gründe dafür, dass wir nicht imstande sind uns gegenseitig wirkliches Vertrauen entgegenzubringen. Denn jeder, der schon einmal verletzt, betrogen oder übervorteilt wurde, wird sich hüten, alles zu glauben, was ihm gesagt wird. Deshalb brauchen wir Normen und Tabus, die uns zumindest einen gewissen Schutz garantieren. Wenn ein Volk oder eine Gemeinschaft sich strikt an die Gebote der Bibel halten würde, könnten wir uns darin auch wieder gegenseitig vertrauen. Doch das ist eben leider nicht der Fall. Vielmehr wird überall auf dieser Welt gelogen, betrogen und übervorteilt. Der eigentliche Grund für die Notwendigkeit von Normen ist letztlich aber die fehlende Liebe zueinander.

Wer die Befreiung des Menschen von diesen Normen und Tabus propagiert, wie das bei der Aufklärung der Fall war, der muss sich auch darüber im Klaren sein, dass er damit auch direkt auf die Auflösung der Gesellschaft zusteuert. Wir haben heute ja oftmals nicht mal mehr feste Maßstäbe, an die wir uns richten könnten. Stattdessen reden wir von Sichtweisen und Meinungen, die dann natürlich sehr unterschiedlich sein können. Die Aufklärung ging davon aus, dass der Mensch von sich aus ein funktionierendes soziales Verhalten entwickeln würde, doch das war ein Irrtum. Die Erfahrung der Geschichte zeigt vielmehr das Gegenteil. Deshalb ist das biblische Menschenbild, das davon ausgeht, dass dem Menschen gesagt werden muss, was böse und gut ist, doch wieder das, was unserer Realität entspricht.

Die Aufklärung hingegen, dieser „Aufbruch zur Freiheit“, läuft heute Gefahr, in einer Diktatur der Überwachung zu enden. Wir können bereits heute die Ernüchterungen und Enttäuschungen feststellen, die sich in unseren Gesellschaften breit zu machen begonnen haben. Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Leisenberg bringt in seinem Vortrag der aktuellen Ausgabe der Reihe „Thema des Monats“ im ERF Süd auch anschauliche Beispiele für diese Situation. So vergleicht er zum Beispiel die Freiheit, die wir durch die Aufklärung gewonnen haben, mit einem Kind, das seine Mutter im Gewimmel der Kunden im Supermarkt aus den Augen verliert. Das Kind hat in dieser Situation zwar tatsächlich jede Freiheit und kann gehen, wohin es will und anschauen und anfassen, was es will. Aber kann es diese Freiheit auch genießen? Wahrscheinlich nicht. Denn was ihm dazu fehlt, ist die Sicherheit, die es nur bei seiner Mutter empfindet.

Genauso geht es dem modernen Menschen. Im Grunde kann auch er alles tun, was er will. Doch das allein ist nicht alles. Was es braucht, um diese Freiheit auch genießen zu können, wäre noch ganz etwas anderes, nämlich Sicherheit. Ein Mensch, der Gott als ordnende Instanz ins Abseits gedrängt hat, hat damit auch seine existentielle Sicherheit und Geborgenheit verloren. Deshalb kann er mit der neu gewonnenen Freiheit oftmals auch gar nichts anfangen. Jesus formulierte diesen Gedanken so: „Was hat ein Mensch davon, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber zuletzt sein Leben verliert? Womit will er es dann zurückkaufen?“ (Matthäus 16,26).

Jesus Christus ist auf die Welt gekommen, um uns innere Freiheit zu schenken. Die Basis dieser inneren Freiheit ist die Liebe, die nicht bedrängt und die auch keine Bedingungen stellt, die Geborgenheit schenkt und sowohl Maßstäbe als auch Freiraum gibt. Das alles verbirgt sich hinter dem Geheimnis des Glaubens. Als Jesus die Jünger fragte, ob auch sie ihn verlassen möchten, antwortete einer der Jünger ihm: „Wohin sonst sollten wir gehen?“ Das ist tatsächlich die entscheidende Frage. Wohin sollten wir gehen? Wer einmal die Freiheit erlebt hat, die wir durch den Glauben an Jesus Christus geschenkt bekommen, der wird nie wieder ohne diese innere Freiheit sein wollen und sich auch nie wieder nach der fragwürdigen Freiheit dieser Welt sehnen, die letztlich überhaupt keine Freiheit ist.

Näheres dazu hören Sie unserer Sendereihe „ERF Thema des Monats“ - im Januar unter der Überschrift „Gefahren und Chancen heute und morgen“. Vertiefende Literatur rund um die aktuellen Fragen unserer Gesellschaft finden Sie im Buchshop der ERF Buchhandlung "Buchgalerie", online unter buchgalerie.com.

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